Lieber Cousin Herbert,
du kannst dich vielleicht erinnern … Es war am 29. Juni dieses Jahres, als eine mit großer Reichweite auf Twitter ausgestattete Gewerkschafterin ein Gasthaus, das sie freilich nicht nur namentlich nannte, sondern auch noch verlinkte, beschuldigte, eine schwarze Frau angeblich nicht bedient zu haben, weil sie eben schwarz sei.
Was folgte, waren negative Bewertungen für das Gasthaus auf diversen Plattformen und natürlich der obligate Shitstorm. Denn wenn die Gewerkschafterin das so sagt, dann wird es ja auch stimmen! Da braucht man nicht lange nachzufragen!
Mittlerweile ist die Angelegenheit vor Gericht, weil Frau Reinthaler (nachdem das Angebot eines Vergleichs seitens der Gewerkschafterin abgelehnt worden war) diese Unwahrheit so nicht stehen lassen will. Denn die „Kollegin und Freundin“ der Gewerkschafterin war sehr wohl bedient worden, lediglich die Speisekarte hatte ihr zu lange gedauert.
Ja, man kann alles Schlechte, das einem im Leben widerfährt, auf die eigene Hautfarbe und den Rassismus der Anderen zurückführen. Und ja, jeder kann nachvollziehen, dass gewisse Erfahrungen ihre Narben hinterlassen. Und wir hören die Betroffenen sehr oft und sehr laut. Auch deren Freundinnen.
Aber wir hören niemals jene, die einfach so beschuldigt werden. Was macht eine derartige Anschuldigung inklusive aller Konsequenzen mit Menschen?
Deshalb hier die Gedanken von Frau Kirsten Reinthaler:
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Vorbereitung, der innere Kampf-Modus eingeschaltet. Rassismus Vorwurf.
Ich brauche einen Faden, die innere Stimme sucht nach einer Richtung oder einer Richtungsanweisung. Geh ich jetzt rechts oder links, bleib ich vielleicht auch stehen oder gehe sogar rückwärts. Was würde es für mich bedeuten, rückwärts zu gehen?
Alle meine Erfahrungen und die damit verbunden Anschauungen über Recht und Unrecht, Sorgen und Mitleid, wäre dies alles in Gefahr?
Oder bedeutungslos im Hintertreffen mit der erneuten Erkenntnis, alles über Bord zu werfen, um wie neugeboren von vorne zu beginnen?
Er kommt aus heiterem Himmel, der Crash
Crash nennt man es, Crash. Ein Aufprall mit 100 km/h gegen eine Wand. Ein Sausen im Ohr des Crashs bliebe hängen. Die gefühlten Sekunden in einer Ewigkeit und die Schnelligkeit des Sehens verwandelt in eine Zeitlupe. Zurück bleiben viele, viele Gedanken und unbeantwortete Fragen, durch die man sich wieder durchackern müsste. Mit dem entsprechenden Werkzeug. Eines davon sollte einmal heißen „Verständnis“!
Ich habe Verständnis für empfangene Ohrfeigen und die errötende Gesichtsfläche. Diese Rötung für einige Zeit sichtbar, um dann letztendlich doch milde zu verschwinden. Diese Ohrfeige, die Rötung, das Zeichen nach außen hin und die innere Narbe, die keiner sieht. Außer ich. Ich würde sie gerne ignorieren, doch mein anderes Ich, das natürlich beleidigt und erschreckt nach Atem ringt, danach händeringend nach einer Lösung fleht, die einmal mir zugutekommen würde, diese Lösung ist genauso so schwer wie die Suche nach dem Verständnis. Müsste ich doch diese Seite betrachten wie ein Außenstehender und nicht wie ein Betroffener. Eine sogenannte Distanz herbeischaffen.
Gladiatoren zur Effekthascherei
Das Wort Distanz. Entfernung weit weg vom Geschehen und doch noch nah genug, um es beurteilen zu können. Den Daumen in die Höhe oder nach unten. Einst Botschaft bei den Gladiatoren demnach auch falsch verstanden.
Hieß es einst, Daumen nach oben „Leben“! Daumen nach unten den „Tod“!
Selbst diese alte Distanzsprache wurde in all der vergangenen Zeit falsch übermittelt. Daumen nach oben wäre das Schwert, das gefordert wurde, den Tod herbeizubringen. Den Daumen versteckt, umschlossen der Finger, symbolisierte das weggesteckte Schwert und somit das geschenkte Leben.
Distanz mit althergebrachter Synonym-Körpersprache falsch interpretiert konnte damals schlicht das Leben kosten. Damals! Die Bedeutung liegt bei „Damals“.
Heute sind die Gladiatoren schon längst nicht mehr in der Arena zu finden und auch nicht die Gefolgschaft, die Zuseher vom Pöbel bis zur adeligen Gefolgschaft, den Untertanen des Kaisers. Reine Unterhaltung als Geschenk des Kaisers an seine Untertanen und deren Gefolgschaft, mit dem Zweck, sie allesamt noch mehr an sich zu binden.
Das Bindemittel ist kein moderner Sekundenkleber, sondern blutige Effekthascherei mit „ich wasche meine Hände in Unschuld“! Meiner Unschuld, die ich verstehe als Unschuld, die neu definiert und als echt zertifiziert in die Allgemeinheit entlassen wird. Mein Gesetz, das Gesetz.
Die moderne Arena weicht heute dem Internet und der dahinter (ver)steckenden Persönlichkeiten. Ich kann mir die Charaktere aussuchen, je nach dem Befinden oder dem starren Festhalten an einer Ideologie, die längst den Weg eines Hauchs von Normalität verlassen hat. Heute sagt man den Extremismus den Kampf an.
Die Heuchelei der Guten
Diese Neuformung von Extremismus ist aber auch Heuchelei der Guten. Früher nannte man es den Pakt mit dem Teufel. Beides ist ein Armutszeugnis für unsere Zivilisation. Wäre da der Schritt zurück dann nicht eher wichtiger, als der Schritt nach vorne?
Sieht man mit Distanz nicht oder kann man es mit Distanz nicht sehen, dass der Stillstand in Wirklichkeit die tickende Zeitbombe, die wir alle in uns tragen, schon lange gezündet ist?
Wir uns eigentlich in dieser Zeitlupen-Schleife befinden und diese nicht als Gefahr erkennen?
Wie wo wir doch alle nur das Gute in uns tragen und doch einem jedem nur unsere so richtige Wahrheit aller Wahrheiten unterjubeln wollen. Ohne das Recht, jedem das Recht zu geben, doch anders zu denken. Wahrlich, wir befinden uns alle in dieser Arena. Manchmal als Gladiator, manchmal als Zuseher und manchmal als Kaiser der denkt alle haben gleich zu denken.
Meine Seele wurde so oft verwundet, meine Narben gehören genauso zu meinem Leben wie meine Geschichte, die ich solange hinter dicken Mauern verbergen versuchte, bis diese Stück für Stück in sich zusammen krachte. Staub wurde aufgewirbelt, sodass ich lange Zeit nichts sehen konnte. Diese Dunkelheit bewahrte mich vor dem Licht, mein Spiegelbild sehen zu können. Doch als die Staubwolke sich setzte und das Licht über die Dunkelheit herrschte, fing ich an zu leben.
Ich habe in meinem Leben schon so oft mit Ungerechtigkeiten zu tun gehabt. Mit Menschen, die geschützt gehören. Menschen-Schicksale, wo viele meinen würden „Selbst-Schuld“. Das ist für die Mehrheit der Menschen die einfache Zauberantwort: selber Schuld!
Der Rucksack für alle
Alkohol, Drogen, Missbrauch und Krankheit, um nur einige aufzuzählen, die mit sehr viel Gefühlen des Schmerzes verbunden sind.
Rassismus! Rassismus zu erleben, diese Erfahrung zu verarbeiten und gewappnet damit umzugehen, scheint genauso kräftezehrend wie schier unmöglich, wie alle Narben, die durch Dritte entstanden sind, zu verbergen.
Viele haben ihren Rucksack vollgepackt und keiner wurde je danach gefragt, ob er diesen auch tragen kann. DANN GIBT ES MENSCHEN DIE MEINEN SIE HABEN DAS RECHT EINEN EH SCHON SCHWEREN RUCKSACK ZUSÄTZLICH ZU BELASTEN.
Gerade die nennen sich Gutmenschen!!!!!
Und so sprudeln dann meine Gedanken.
Zeit wird es auch, dass eine menschliche Normalität wieder unseren Alltag bestimmt.
Kirsten Reinthaler
https://www.gasthaus-reinthaler.at/
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Dem Appell nach einer menschlichen Normalität und dem Respekt vor den unsichtbaren Rucksäcken aller ist von meiner Seite nichts mehr hinzuzufügen.
Außer vielleicht eines:
es beginnt alles bei einem selbst. Der Fingerzeig auf die Anderen, die Hoffnung, dass alles, was man selbst tun sollte, eh durch die Anderen erledigt wird, wird sich nicht erfüllen.
Dazu fällt mir folgende Geschichte ein. Jemand hatte des Öfteren folgendes zu mir gesagt, wenn ich mal wieder etwas gemacht hatte, was irgendwie auffällig war, und war es nur eine zu bunte Haube im Winter zu tragen:
Das kannst du nicht machen,
was werden sich denn „die Anderen“ denken?
Irgendwann habe ich dann geantwortet:
Ich bin für „die Anderen“
aber auch eine von „den Anderen“!
Liebe Grüße,
Cousine Daniela
Es gibt Leute, die sich selbst Gutmenschen nennen? (??????)
Vielleicht nicht explizit, aber zumindest viele, die sich dafür halten. Insofern nennen sie sich auch und sei es nur für sich selbst.