Lieber Cousin Herbert,
mir fehlen langsam die Worte zu der Justament-Opposition, die du an den Tag legst. Dabei war ich doch so stolz auf dich, als du dich in den Tagen vor dem bastianischen Rücktritt so richtig staatsmännisch und vernünftig gezeigt hast! Ja ehrlich!
Und jetzt? Du wirkst nur noch wie ein trotziges Kindlein, im Englischen recht herzig „Toddler“ genannt, das justament seinen Standpunkt vertreten will, obwohl ihm eh schon alle sagen, dass es am Holzweg ist. Nachdem du dich leider noch nicht zu einer der von mir vorgeschlagenen Themenimpfungen angemeldet hast, versuche ich es eben anders.
Von Freunden und Söhnen
Bevor wir uns deinem freiheitlichen Holzweg widmen, machen wir einen kleinen Ausflug nach Schasklappersdorf.
Dort nämlich soll – so munkelt man im Rahmen der obligatorischen Unschuldsvermutung – ein Freund (Siegfried Wolf) vom Basti Kurz immerhin 686.736 Euro an Steuerschuld erlassen bekommen haben. Und von wem genau? Vom Thomas Schmid. Von ihm haben wir ja jetzt länger nichts gehört oder gelesen, wenngleich er uns mit #beidlgate noch lebhaft in Erinnerung ist!
Nicht nur Freundschaften, sondern auch Verwandtschaft ist oft gut (nicht immer freilich, wie man an uns beiden sieht). Der Sohn vom Josef Pröll nämlich, der Xandi, wird jetzt Bundesgeschäftsführer der ÖVP.
Die türkise Familie ist also wieder schwarz geworden!
Die Freiheit und ihr Paradoxon
Aber nun zu deinem Geschwafel zur Freiheit. Du als ewiger Philosophiestudent wirst meinen Ausführungen sicherlich nicht nur besonders gut, sondern auch gerne folgen können.
Zu meinem großen Erstaunen war die ORF-Sendung „Im Zentrum“ am letzten Sonntag ausnahmsweise nicht gänzlich für die Fisch! Dort habe ich etwas gelernt, das bis dato an mir vorüber gegangen war: das liberale Paradoxon nach Amartya Sen.
Dazu hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin wie folgt ausgeführt:
„Wir tun so, als stünde Gemeinwohl gegen individuelle Freiheit. Das stimmt aber nicht. […] Mit dem liberalen Paradoxon ist logisch mathematisch BEWIESEN, dass Freiheit einen Preis hat. Wenn man individuelle Freiheiten will, kann man in vielen Fällen das gemeinsame Wohl nicht optimieren. Das ist mit diesem Theorem bewiesen.“
Ich habe mich nun ein bisserl in das Thema eingelesen und möchte dir meine Interpretation anhand eines Beispiels darlegen, das mir sehr gut gefallen hat und mit dem auch du dich sicherlich identifizieren kannst.
Der Prüde und der Aufgeschlossene
Amartya Sen selbst hat sein Paradoxon anhand des Buches „Lady Chatterley’s Lover“ anschaulich erklärt. Ich hoffe, ich muss dir nicht erst erklären, worum es in dem Buch geht.
Stellen wir uns vor, ein Prüder und ein Aufgeschlossener machen eine Schiffsreise und nur einer kann das Buch lesen.
Was sagt der Prüde dazu?
1) Wenn es nach ihm geht, dann liest dieses Buch am besten NIEMAND.
2) Wenn es schon unbedingt einer lesen muss, dann ist es wohl am besten, wenn ER es liest, denn er ist moralisch weit gefestigter!
3) Als letzter, wenn überhaupt, soll/darf es der Aufgeschlossene lesen.
Wir können daher folgende Hierarchie zeichnen:
Niemand > der Prüde > der Aufgeschlossene
Was sagt der Aufgeschlossene dazu?
1) Wenn es nach ihm geht, dann braucht der Prüde das Buch am ehesten.
2) Wenn der es partout nicht lesen will, dann nimmt er es selbst.
3) Es wäre schade, wäre es vergeudet und keiner würde es lesen.
Wir können daher folgende Hierarchie zeichnen:
der Prüde > der Aufgeschlossene > Niemand
Was soll nun einer tun, der für die kleine Gesellschaft bestehend aus diesen beiden Personen eine Entscheidung treffen soll?
Egal, wie er entscheidet, einer wird unzufrieden sein und dazu jammern womöglich beide, dass die Wahlfreiheit eingeschränkt wird!
Der Impfprüde und der Aufgeschlossene
Legen wir nun das Beispiel um und nehmen wir statt des Buches die Impfung. Du gibst erwartungsgemäß den Prüden.
Was sagt der Herbie zur Impfung?
1) Wenn es nach dir geht, dann braucht sich KEINER impfen lassen.
2) Wenn sich schon unbedingt wer impfen lassen muss, dann bitteschön jene, die das auch unbedingt wollen!
3) Als letzter, wenn überhaupt, dürfen die Skeptiker geimpft werden.
Wir können daher folgende Hierarchie zeichnen:
Niemand > der Impffreund > der Skeptiker
Was sagt der Aufgeschlossene dazu?
1) Wenn es nach ihm geht, dann sollen sich zuallererst jene impfen lassen, die sich richtig darauf freuen.
2) Bevor alles noch schlimmer wird, sollten wir versuchen, auch die Skeptiker zu überzeugen und sie impfen zu lassen.
3) Es wäre schade, wären die ganzen Impfdosen vergeudet und keiner würde sich impfen lassen.
Wir können daher folgende Hierarchie zeichnen:
der Impffreund > der Skeptiker > Niemand
Das Gemeinsame vor das Trennende
Genau genommen sollte, wenn man wirklich liberal sein möchte und die „Freiheit“ hochhält, jeder alles wirklich für sich entscheiden können. So ist es aber nicht. Beim Buch macht der Prüde genauso Vorschriften wie der Aufgeschlossene, ebenso bei der Impfung.
Auch DU brauchst nicht daherkommen, dass DIR die „Freiheit“ soooo wichtig wäre, denn DU machst genauso Vorschriften! Von deiner Pressekonferenz, die du heute gegeben hast, will ich erst gar nicht anfangen.
Allerdings finden wir in beiden Beispielen auch eine Einstimmigkeit, einen kleinsten gemeinsamen Nenner:
Betreffend des Buches ist dir sicherlich aufgefallen, dass sowohl der Prüde als auch der Aufgeschlossene
der Prüde > der Aufgeschlossene
in ihrer Reihenfolge haben. Bevor es der eh Aufgeschlossene lesen darf, soll es unbedingt der Prüde lesen (wenngleich die Motive dafür unterschiedlich sind).
Betreffend der Impfung finden wir
der Impffreund > der Skeptiker
vor.
In beiden Fällen ist es nicht möglich, auf die individuelle Freiheit unserer Teilnehmer gänzlich einzugehen. Was wir aber tun können ist, den gemeinsamen Nenner, die gemeinsame Präferenz zu finden. Schön, oder?
Liebe Grüße,
Cousine Daniela