#Brieferl No.316 – Der ORF im Heumarkt-Modus?





Lieber Cousin Herbert,
kannst du dich noch erinnern? An die Ringkämpfe am Wiener Heumarkt, damals? Ich war ein paar Mal live dort, weil ich vor allem vom Otto „Telefonbuchzerreißer“ Wanz sehr fasziniert war. Wie ich nachlesen konnte, gab es diese Turniere jeden Sommer seit dem Zweiten Weltkrieg bis ins Jahr 1998.

Das Beste an der ganzen Performance war ja, dass die in Gut und Böse eingeteilten Ringer einander niemals wirklich weh taten, sondern zum Gaudium des Publikums eher nur so taten als einander wirklich weh zu tun.

Alles so, wie es scheint, oder doch nicht?

Ich überlege, ob es damals einen Zwist unter den Zuschauern gab, zwischen jenen, die das Dargebotene für authentisch hielten und jenen, die zwar wussten, dass alles Show ist, aber sich deshalb nicht weniger amüsierten.

Beweisen konnte schließlich keiner seine Annahme, wenngleich Gerüchte besagten, dass in der Kronen Zeitung die Ergebnisse der Schlachten bereits eine halbe Stunde nach Beendigung der Show publiziert worden waren. In Prä-Internet-Zeiten, wohlgemerkt! Das hätte allerdings ein Indiz für ein abgekartetes Spiel sein können!

Du fragst dich jetzt sicher, warum ich dir mit dem Heumarkt daherkomme, wo du doch gestern, das muss ich so sagen, verlässlich als Oppositionspolitiker im Nationalrat brilliert hast und eigentlich Lobhudelei dafür erwartest. Du warst eh wirklich super! Und bleib bitte in der Opposition!

Der ORF im Heumarkt-Modus?

Es ist jedenfalls schwer, Dinge nachzuweisen, die man als Normalbürger gar nicht nachweisen KANN. Was aber wiederum eigentlich nichts macht, denn eine lebhafte Diskussion hat auch dann ihr Recht, wenn man lediglich seine persönlichen Eindrücken ohne Anspruch auf die einzig wahre Wahrheit darlegt.

Das will ich hiermit tun, weil mir ein paar Dinge beim ORF aufgefallen sind, die mich nachdenklich machen.

Die Pamela Rendi-Wagner-Twitter-Aufregung

Gestern hat Armin Wolf folgenden Tweet verfasst, auf den dann Beate Meinl-Reisinger antwortete, was ihr eine Einladung in die ZIB2 einbrachte:

Ganz Austro-Twitter verbrachte den Abend in heller Aufregung, weil Pamela Rendi-Wagner in OE24 bei Isabelle Daniel zu Gast war und augenscheinlich deshalb eine Einladung in die ZIB2 ausgeschlagen hatte.

Mir sind dazu zwei Dinge aufgefallen:

1) Entgegen dem sonstigen Usus sprach Armin Wolf in der ZIB2 NICHT die magischen Worte:

„Wir hätten dazu gerne mit der Parteivorsitzenden der größten Oppositionspartei gesprochen, leider hat uns Frau Rendi-Wagern abgesagt. Stattdessen begrüße ich Beate Meinl-Reisinger von NEOS“

Er macht das eigentlich sonst immer. Oder zumindest oft, weil wir nicht wissen können, wie oft er es nicht sagt.

2) Wenn ich den Tweet korrekt lese, dann steht dort NICHTS von einer Einladung. Sie kann jedoch impliziert werden. Wurde sie auch. Deshalb die Twitter-Aufregung.

Der JVP-Bundestag im Livestream der ORF-TV-Thek

Am 15. Mai 2021 wurde, zur Überraschung sowie zum Ärgernis (auf Twitter) vieler der Bundestag der Jungen ÖVP inklusive „Stargast Sebastian Kurz“ LIVE übertragen. Ob man diese Vorgehensweise auch bei anderen Parteien an den Tag gelegt hätte, darf bezweifelt werden.

Wieder war es Armin Wolf, mit fast 500.000 Followern auf Twitter der wohl reichweitenstärkste ORF-ler, der uns davon in Kenntnis setzte, dass die Redakteure des ORF das eh gar nicht gewollt und noch weniger goutiert hätten.

Presseaussendung: ORF-JournalistInnen kritisieren JVP-Liveübertragung

Was er nicht dazu sagt und leider trotz mehrerer Anfragen auch nicht beantwortet:

Wie passt das damit zusammen, dass die Spät-ZIB über den Bundestag berichtet hat?
Wird diese denn nicht von genau jenen Redakteuren gestaltet bzw. verantwortet, die öffentlichkeitswirksam per OTS-Aussendung die JVP-Liveübertragung kritisieren?

Zumindest war dieser Umstand auch für den Verantwortlichen der Übertragung das schlagende Argument der Rechtfertigung:

„Die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen – Berichterstattung im linearen TV – sieht Prantner durch einen kurzen Beitrag in der Samstag-Spät-ZIB erfüllt.“

Lachen ist nicht gleich Lachen

Wir erinnern uns alle an den zugegebenermaßen suboptimalen Auftritt der Pamela Rendi-Wagner im Halbdunkel, hinter ihr die Parteigenossen, als sie in der ZIB2 zum Misstrauensantrag gegen die Bundesregierung im Mai 2019 von Armin Wolf interviewt wurde.

Spannend ist im Nachhinein auch die von Wolf potentiell instabile Expertenregierung, aber das ist jetzt gar nicht der Punkt.

Ab 07:32 kommen wir mit einer Frage zu dem mittlerweile fast legendären Kommentar von Wolf, nämlich:

„Ich weiß jetzt ehrlich gesagt nicht genau, warum Sie lachen! Das war ihre erste Wahl (Anmerkung: EU-Wahl) als Bundesparteivorsitzende. Möglicherweise hätten Sie auch heute auch einfach Ihren Rücktritt anbieten sollen!“

Über das Wort „sollen“ will hier gar nicht näher nachdenken.

Worüber ich aber nachdenken will: warum wurde die SPÖ-Chefin für ihr Lachen vorgeführt, jedoch das häufige, vielleicht damals schon der Überarbeitung geschuldete Lachen des Rudi Anschober nie kommentiert?

Auch das häufige Lachen des Gernot Blümel in der ZIB2 am 10. Mai 2021, als dieser um die Aktenübergabe per Exekution durch den Bundespräsidenten herumredete, blieb unkommentiert.
Warum auch immer.

Das Kurz-Interview

Bereits das o.g. Interview mit dem Finanzminister nährte in mir den Heumarkt-Vergleich. Wirklich verdattert hat mich dann allerdings das Interview mit dem Bundeskanzler am 12. Mai 2021. Das ging schon fast soweit, dass selbst ICH mit dem Basti so etwas wie Mitleid empfand.

Was du natürlich als begeisterter Seher des „politisch inkorrekten Sesselkreises“, den ich zusammen mit dem Joesi Prokopetz mache, längst weißt!

Ich war, freundlich formuliert, extrem überrascht, dass Armin Wolf die längste Zeit nichts anderes zu tun hatte, als den Basti mit Zitaten aus dem Untersuchungsausschuss und dem Inhalt der Chat-Protokolle zu konfrontieren.

Ich gehe davon aus, dass der durchschnittliche ZIB2-Konsument ein politisch interessierter Mensch ist, der bereits grundsätzlich über diese Inhalte informiert war. Und selbst wenn nicht!

Am eigentlichen Thema vorbei

Was ist denn das wirkliche Thema, für das diese Informationen lediglich die Grundlage darstellen?

Der Punkt ist doch, dass des Bundeskanzlers Versuche, den Spieß der Anpatzerei zu seinen eigenen Gunsten zu wenden, indem er die Opposition aufgrund von Anzeigen beschuldigt, ihn aus dem Amt drängen zu wollen, nur Ablenkung von dem waren, was Kernthema dieses Interviews hätte sein sollen: seine mögliche Falschaussage, deren potentiellen strafrechtlichen  und daraus folgend politischen Konsequenzen!

Ich hätte mir auch im Sinne der Zuseher erwartet, dass Wolf den Weg von einer Anzeige zum Beschuldigten skizziert.
In Österreich, so munkelt man, wird ja tendenziell sehr gerne anzeigt, auch anonym. Und nein, nicht jede Anzeige mündet in einer Mitteilung nach § 50 Strafprozessordnung, wie es beim Basti der Fall ist.

Dieser Weg ist relevant und ebenso die möglichen politischen und moralischen Konsequenzen daraus. Aber mit Sicherheit nicht das Zitieren von einzelnen Nachrichten.

Woher die schnelle Reaktion?

Ich frage mich übrigens auch, wie es dazu kam, dass der Basti so unmittelbar nach dem vorherigen, kurzen Bericht in der Lage war, die tatsächlich nur halb zitierte Aussage zu korrigieren?
Hatte er im Hintergrund eine dem Zuseher nicht sichtbare Entourage an Mitarbeitern mit dabei, die sämtliche Unterlagen zur Hand hatten und dann binnen zwei Minuten das Richtige fanden und ihm zusteckten?
Oder wusste er etwa vorher Bescheid, was genau gebracht wird?

Besonders interessant fand ich den Abschluss des Interviews. Da kam nämlich die Frage auf dich und deine Entlassung. Was gut ist, weil dich kann eigentlich keiner außer deinen Hardcore-Fans leiden!

„Über Herbert Kickl haben Sie nach dem Ibiza-Video gesagt, er hätte, ich zitiere, nicht das nötige Bewusstsein für die Dimension der Sache, deswegen müssen Sie den Bundespräsidenten seine Entlassung vorschlagen. Nach diesem Maßstab müssten Sie da jetzt nicht selber zum Bundespräsidenten und Ihren Rücktritt einreichen?“

Natürlich hat der Basti nicht darauf geantwortet und Armin Wolf hat (natürlich) auch nicht nachgehakt.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass redliche, insbesondere in der Juristerei gebildete Menschen aufgrund der Themenwahl des Armin Wolf, in dem er sich auf Dinge kapriziert hat, die tatsächlich der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht obliegen, zu dem Schluss kommen, dass eben diese Interviewführung nicht redlich ist.

Unredlichkeit ist auch gegenüber dem potentiell Unredlichen nicht gerechtfertigt und bringt diesem dadurch möglicherweise Sympathien ein, die er sonst nicht bekäme.

Der Erlebnisbericht

Wie wir bereits zu Beginn unserer netten Unterhaltung festgestellt haben, war Beate Meinl-Reisinger gestern in der ZIB2.
Man kann, so finde ich zumindest, von ihr und auch den Ansichten der NEOS halten, was man mag, aber sie ist stets eine mitdenkende, sehr differenzierte Politikerin.

Wolf befragte sie, wie sie denn die Ansicht der ÖVP fände, wonach der UA eher einem Tribunal gleich, wenn sogar die ehemalige Verfahrensrichterin erzählt hätte: „Bei Gericht würden mutmaßliche Mörder besser behandelt als Auskunftspersonen im Ausschuss“.

Nach der Auffassung von Herrn Wolf war ihre Antwort wohl nicht passend genug, weshalb er folgenden Satz sagt:

„Das war jetzt nicht die Frage, die Frage war, warum es im U-Ausschuss so zu geht? Der ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg war einmal als Ersatzabgeordneter dort und hat dort im Parlament gesagt, er hat dort nur Aggression, Niedertracht und blanken Hass erlebt, und der Mann ist Psychoanalytiker!

Zack, aus die Maus! Wenn ein Politiker auch noch Psychoanalytiker ist und dann „Aggression, Niedertracht und blanken Hass“ ERLEBT, dann ist das wohl so zu akzeptieren!

Die richtige Antwort von Beate Meinl-Reisinger wäre wohl gewesen:

„Herr Wolf, sind’s mir nicht bös, aber ich kommentiere persönliche Erlebnisberichte nicht. Auch wenn sie von einem Psychoanalytiker kommen.“

DU hättest wahrscheinlich überhaupt ein Schäuferl nachgelegt und in etwa formuliert:

„Also wenn der Herr Engelberg Aggression, Niedertracht und Hass erlebt, dann hat er womöglich ein Problem mit seiner ÖVP-eigenen Wahrnehmung und sollte schleunigst eine Supervision in Anspruch nehmen!“

 

Nun denn. Ich bin noch ein bisschen unschlüssig, ob der von mir empfundene Heumarkt-Modus des ORF tatsächlich begründet oder meiner zunehmenden Sensibilität geschuldet ist. Jedenfalls wollte ich dir meine Gedanken erzählen.

Und zur Erinnerung an die echten Heumarkt-Helden gibt es noch ein kleines Video:

Liebe Grüße,
Cousine Daniela



Schreibe einen Kommentar